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Die Bolivarische Allianz ALBA und das Mitgliedsland Ecuador als radikaldemokrati

Tobias Baumann | 04.07.2012 19:12 | Globalisation | History | Public sector cuts

Wegweisende intergouvernementalen Integrationsschritte der zukunftsweisenden Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) werden mit der EU verglichen - die aktuelle, auf Wettbewerbsfähigkeit und Lohndruck ausgerichtete, für ganze Volkswirtschaften Südeuropas desaströse Euro-Politik ist nur die logische Folge des Binnenmarkts ohne Sozial- u. Fiskalunion.

Große Zeitungen konzedieren zurzeit, dass die Staatsbürger in Sachen Europapolitik „nichts zu entscheiden“ haben: „Die Parteien standen ihnen, was Europa angeht, immer in einer Einheitsfront gegenüber“ und die „politisch-kulturelle Absicherung des Elitenkonsenses“ wurde durch die Einmütigkeit der Politiker und ihrer Technokraten aus den Elfenbeintürmen besorgt. Im Gegensatz hierzu ist die Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas (ALBA) aus Volksbewegungen erwachsen, die eine Stärkung der regionalen Integration als Voraussetzung der Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Souveränität erkannten – dagegen liegen die Wurzeln der EU nicht etwa in einer Volksbewegung, sondern in der großindustriellen EGKS von 1951, jenem aus dem Schuman-Plan hervorgegangen Projekt der deutschen und französischen Machteliten.
Auch die von den hegemonialen Medien weniger beleuchtete intransparente Arbeitsweise der EU-Regierung Europäische Kommission, deren lobbyanfälliger Ausschussdschungel von vielen Politikwissenschaftlern nicht nur wegen seines eklatanten Demokratiedefizits kritisiert wird, bildet einen krassen Kontrast zur volksnahen, transparenten Arbeitsweise des im Vergleich zur EU sehr jungen Staatenbündnisses ALBA.
So diskutierten die Staatschefs beim letzten ALBA-Gipfeltreffen am 4./5. Februar 2012 dieses Jahres - welches erneut in voller Länge über den lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur übertragen wurde - über verschiedenste Integrationsschritte und –vorhaben und tauschten sich zudem direkt mit Vertretern der Zivilgesellschaft live vor der Kamera zu unterschiedlichen Themen aus. Mehr Transparenz bei der regionalen Entscheidungsfindung ist wohl kaum denkbar. Ein ecuadorianischer Studierendensprecher gab bei dem Gipfeltreffen den Regierungschefs beispielsweise Hinweise für eine beschleunigte Integration der Völker der ALBA-Mitgliedsländer, indem er z.B. das große Wasserpotential Ecuadors hervorhob, das künftig die Nachbarländer mit grüner Elektrizität zu versorgen vermag (tatsächlich ist der Wasserkraftsektor in Ecuador letztes Jahr um über 18% gewachsen). Natürliche Ressourcen sind für die auf Rohstoffexport ausgerichteten Ökonomien der ALBA-Mitgliedsländer mittelfristig noch das zentrale Thema, selbst wenn z.B. in Ecuador mit der Stadt des Wissens, Yachay, bereits massiv in neue Technologien und Forschung investiert wird und langfristig eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft anstrebt.
Die Rückgewinnung der Souveränität durch staatliche Kontrolle über Rohstoffe ist für die ALBA-Länder beispielhaft in Ecuador festzustellen. Hier hatte der ehemalige Präsident Lucio Gutiérrez (2003-2005) die neoliberale Politik ins Extreme gesteigert, indem er kurz nach seiner Wahl ein Abkommen mit dem IWF unterzeichnete, in welchem er sein Land zur Privatisierung einiger Erdölfelder, darunter vier der profitabelsten Ecuadors, verpflichtete. Der daraufhin ausgebrochene Protest der Gewerkschaften mündete in eine populäre Bewegung aus Indigenen, Studierenden, Lehrern und anderen sozialen Akteuren, gipfelnd im Volksaufstand von April 2005, als dessen Ergebnis Gutiérrez zu seiner Sicherheit in einem Hubschrauber das Land - mitsamt Amt - verlassen musste. Als nächster gewählter Präsident kam im Dezember 2006 der linke Wirtschaftswissenschaftler Rafael Correa Delgado ins Amt, der schließlich mit dem Neoliberalismus und dem imperialen Kurs seiner Vorgänger radikal brach und in Folge des ALBA-Eintritts 2009 einen „authentischen lateinamerikanischen Sozialismus“ zu erarbeiten begann.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als einer der innen- und außenpolitischen Ansprüche der ALBA-Politik wird heute im diplomatischen Umfeld insbesondere von der ecuadorianischen Regierung vorangetrieben. Beim genannten ALBA-Gipfeltreffen in Caracas schlug der ecuadorianische Präsident am 4. Februar 2012 vor, ALBA-Sanktionen beispielsweise gegen Großbritannien wegen der Malwinen-Besetzung zu beschließen. Der Außenminister von Ecuador, Ricardo Patiño Aroca, machte am zweiten Verhandlungstag des ALBA-Gipfeltreffens, am 5. Februar, den Vorschlag, gemeinsam die Visumspflicht für das Land, das seit Jahrzehnten eine destruktive Kuba-Blockade ausübt, einzuführen. Am 30. Mai 2012 forderte Ricardo Patiño, dass die UNO nicht nur eine Beendigung der Besetzung der Malwinen durch London, sondern auch ein Ende der Kolonisierung von Puerto Rico durch Washington DC veranlassen solle, ebenso wie die Aufhebung aller kolonialer oder neokolonialer Besitzungen.
Auch eine Zollunion als nächste Stufe der ALBA-Integration wurde auf diesem Gipfeltreffen u.a. von der Delegation Ecuadors angestoßen. Über den Handelsvertag für die Völker, konstitutiver Bestandteil von ALBA, werden bereits heute Ernährungssicherheit sowie komplementärer Handel nach dem Grundsatz des größtmöglichen Nutzens für die Völker und nicht des Profits gewährleistet. ALBA bedeutet allerdings nicht nur gleichberechtigter Handel und wirtschaftliche Integration unter Ausschluss der Freihandelslogik, sondern auch eine ganzheitliche Süd-Süd-Kooperation, die soziale, politische und kulturelle Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen der Völker einschließt.
Auch im neueren Staatenbündnis UNASUR, dem alle zwölf unabhängigen Staaten Südamerikas angehören, spielt der ecuadorianische Präsident Correa gegenwärtig die Rolle des Motors der Integration. So forderte er beispielsweise, dass im Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Harmonisierung ein gemeinsamer Mindestlohn eingeführt werden müsse – eine weitsichtiger Vorschlag, der aus den Integrationsfehlern der EU eine Lektion gezogen hat: die sozialpolitische und fiskalpolitische Angleichung unter den Mitgliedsländern war spätestens nach der Währungsunion in der Eurozone überfällig und hätte die zunehmende Asymmetrie aufgrund von unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit und folglich auseinanderdriftenden Handelsbilanzen abschwächen können.
Die Außen- und Sicherheitspolitik, einst im Vertrag zur Europäischen Union (auch Maastricht-Vertrag genannt) von 1992 als dritte Säule der Integration geplant und schließlich angesichts der Konflikte etwa um eine aktive Beteiligung am Irak-Krieg gescheitert, ist ein Gebiet, auf dem ALBA bereits heute weitaus tiefer harmonisiert ist als die EU. Während sich die EU-Mitgliedsstaaten aufgrund der mehr oder weniger engen Beteiligung an imperialistischen Kriegen der USA bzw. Frankreichs und Großbritanniens - im Fall Libyens - spalten, setzen alle ALBA-Länder konsequent auf eine ihrer sozialistischen Innenpolitik entsprechende, konsequent pazifistische Außenpolitik.
Die ALBA-Länder haben aus weiteren Fehlern der europäischen Integration gelernt, so aus dem EU-Funktionalismus, der den Gemeinsamen Markt sowie die Währungsunion für ein Kerneuropa, dem dann alle anderen nachfolgen sollten, als absolute Priorität setzte. Hierbei wurden die EU-Staatsbürger spätestens mit dem Vertrag zur Europäischen Union de facto zu Marktbürgern. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist - ebenso wie die anderen Grundfreiheiten: Niederlassungsfreiheit, Warenverkehrs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit - eine an wirtschaftliche Zwecke gebundene Freiheit. Diese vier Grundfreiheiten sind die ursprünglichsten EG-Grundrechte und mündeten in die unter Roman Herzog 2000 ausgearbeitete Grundrechtecharta. In Anbetracht dieser marktradikalen Orientierung der vier Grundfreiheiten der EU spricht auch der Staatsrechtsprofessor Ipsen nicht von Unionsbürgern, sondern vom „Marktbürger“ in der EU. Die ALBA-Mitgliedsländer beschreiten hingegen gemeinsam einen neuen, sozialistisch-demokratischen Pfad, der unabhängig vom oft als Sachzwang verklärten Profitzwang ist.
In umweltpolitischen Hinsicht symbolisiert die radikaldemokratische Bürgerrevolution Ecuadors den revolutionären Aufschwung im Rahmen von ALBA und bietet der Menschheit ein wegweisendes Pilotprojekt an, das die Umsetzung der Energiewende in einem Land erstmals konkret mit dem Konzept der Mitverantwortung der Industrieländer an den durch Klimawandel hervorgerufenen Adaptationskosten in Entwicklungsländern verbindet: Die innovative Umweltinitiative Yasuní-ITT stellt eine ökologische Revolution dar und ist integraler Bestandteil des revolutionären Prozesses in Ecuador. Diese Initiative verbindet die Ziele der notwendigen ökologischen mit der sozialen Transformation. Yasuní-ITT ist erstmalig ein konkreter Vorschlag zum präventiven Klimaschutz - denn 20% der ecuadorianischen Erdölvorkommen bleiben unter der Erde -, der mit der Profitlogik und mit der Marktlogik (erste operable Alternative zur abwegigen Idee des Emissionshandels) bricht.
In zwei ALBA-Ländern wird heute in diesem nachhaltigen Sinn der Prozess des Vivir Bien (Bolivien) bzw. Buen Vivir (Ecuador), des sog. Guten Lebens, umgesetzt, indem die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital schrittweise zugunsten der Arbeit und damit auch der Natur, die so gleichzeitig von der übermäßigen Ausbeutung durch Konzerne befreit wird, verschoben werden. Europa hatte ebenfalls Vordenker eines ähnlichen Guten Lebens, die das bewusste Gestalten der Produktionsmittel und -weise in den Vordergrund stellten. So erklärte der Sozialist Paul Lafargue die zukünftige Arbeit als „eine dem menschlichen Körper nützliche Leidenschaft […], wenn sie weise geregelt“ werde. Lafargue, Ehemann von Marxens Tochter Laura, hielt dem legalistischen Recht auf Lohnarbeit das utopische Recht auf ein „gutes und schönes Leben für alle“ entgegen.

Quellen:
- „Abschied vom aufgeklärten Absolutismus. Wenn es um Europa geht, kennen die deutschen Parteien nur eine Meinung: Das Projekt ist gut. So suspendiert man Demokratie“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 8.01.2012, S. 11.
- Raoul Marc Jennar, "Europe, la trahison des élites", Fayard, 2004.
- Zur Technokratie versus Demokratie auf EU-Ebene, siehe das umfassende Werk vom Obersavatoire de l´Europe Industrielle: Belén Balanya, Ann Doherty u.a., "Europe inc. Comment les multinationales construisent l´Europe et l´économie mondiale", Pluto Press, 2003.
- Die Europäische Kommission besitzt immer noch das alleinige Initiativrecht, was legislative Vorschläge betrifft, vgl. Andreas Wehr, "Das Publikum verlässt den Saal. Nach dem EU-Verfassungsvertrag: Die EU in der Krise", PapyRossa, 2006.

Tobias Baumann
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