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Schleyer, eine deutsche Geschichte

David Vincy | 30.10.2009 18:45 | Anti-racism | History | Terror War | Cambridge | Oxford

Das sichtbare Leiden des gefangenen Arbeitgeberpräsidenten war für sich schon ergreifend. Irritierender noch war die Ahnung, daß die Polaroidphotos doppelt belichtet schienen. Das zweite Bild dahinter, über das nicht gesprochen wurde, war das heimliche, vielleicht das eigentliche Skandalon des Jahres 1977: Nie zuvor hatte man in Deutschland einen SS-Mann leiden sehen.
Friedrich Christian Delius ... Schleyers Villa in Prag ....  http://de.indymedia.org/2009/10/264549.shtml
Der 1977 von der RAF ermordete Arbeitgeberpräsident hatte schon in den vierziger Jahren viel mit Terrorismus zu tun
Otto Köhler ... Waltrude, die inzwischen verstorbene Witwe des ermordeten Arbeitgeberführers Hanns Martin Schleyer (1915-1977) erinnerte sich im November 2003 nur dunkel, was da geschehen sein mochte: »Das wurde uns dann angeboten. Ich weiß auch nicht mehr, wie das richtig vor sich gegangen ist. Wir haben dann plötzlich drinnen gewohnt.« Sie meinte die komfortable Villa an der Bubentscher Straße 55 im vornehmen Prager Diplomatenviertel, in die Familie Schleyer - Sohn Hanns-Eberhard wurde dort geboren - am 1. Oktober 1944 einzog. Sie mußte sich auch keine Gedanken machen, warum sie plötzlich da drinnen wohnte - die rechtmäßigen Besitzer Emil Waigner und Marie Waignerová waren schon von den SS-Kameraden ihres Gatten gemäß geltendem Unrecht entfernt worden. Peter Später hat in Prager Archiven recherchiert und berichtet in seinem soeben erschienenen Buch »Villa Waigner - Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939-1945«, wie das alles geschah.
In die im August 1940 geräumte Villa zog als erster ein fanatischer SA-Professor mit seiner Familie ein: Zivilrechtler Friedrich Klausing, der schon die Frankfurter Universität von Juden gesäubert hatte, war an die Deutsche Universität Prag berufen und bald zum Rektor ernannt worden. Er brauchte eine standesgemäße Wohnung, die sollte jüdisch sein, und da war ihm schon so manches von den Parteigenossen weggeschnappt worden - Klausing in einer Beschwerde an das Reichsministerium für Wissenschaft und Volksbildung: »Die Zahl der aus jüdischem Besitz stammenden Häuser wird immer geringer.« Zu viele Deutsche aus dem Reich hatten Prag überschwemmt und eine Bleibe fürs Leben gesucht. Wegen seiner engen Zusammenarbeit mit Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts und Herrscher über das Protektorat Böhmen und Mähren, wie nunmehr dieser Teil der Tschechoslowakei genannt wird, bekommt Klausing die Villa Waigner. Dann - so ein Pech - war Sohn Friedrich-Karl als Adjutant Stauffenbergs am 20. Juli beteiligt. Entsetzt über soviel Haß gegen den geliebten Führer im eigenen Fleisch und Blut, meldete sich SA-Professor Klausing an die Front, damit er dort den Tod durch die Kugel des Feindes finde. Doch Franz May, oberster Führer der Protektorats-SA, warf sich entschlossen dazwischen: Augenblicklich solle sich der Professor als Sühne für seinen Sohn selbst erschießen. Andernfalls schreite man zur »Auslöschung« der ganzen Familie.
Such den Tod! »Er begab sich in seine Dienstvilla« - so heißt es in einem anderen, letztes Jahr erschienenen Buch - und schrieb mit dem Absender Bubentscher Straße 55 einen Abschiedsbrief an die Familie, der also endete »Es lebe Deutschland - es lebe der deutsche Geist, es lebe der deutsche Soldat! Es lebe die SA! - Es lebe der Führer!«. Und gab sich den Tod mit seiner Dienstpistole aus dem Ersten Weltkrieg. Auch Sohn Friedrich-Karl wollte nichts mehr von sich selbst wissen. Unmittelbar bevor das Freisler-Urteil - Tod am Fleischerhaken - exekutiert wurde, schrieb er dem lieben Vater und der lieben Mutter einen Abschiedsbrief: er könne es nur »als ein Zeichen göttlicher Gnade ansehen, die es unmöglich machte, daß der Putsch gelang und damit das Chaos und Ende des deutschen Volkes heraufbeschworen wurde«. Durch diese Gewißheit wolle er auch »ruhig auf mich nehmen, was mich erwartet«. Liebevoll mahnt er die Eltern: »So fragt nicht mehr nach mir, laßt mich ausgelöscht sein.« Da hatte sich der Nazipapa in seiner Dienstvilla mit seiner Dienst­pistole schon drei Tage zuvor den Tod gegeben. ... Image  http://media.de.indymedia.org/images/2009/10/264550.jpg

hans Martin Schleyer
hans Martin Schleyer


Josef Pfitzner, zweiter Bürgermeister von Prag und selbst SA-Standartenführer, war so verwirrt über solch unnütze Verschwendung wertvollen deutschen Blutes, daß er sich in seinem Tagebuch fragte: »War es richtig von der SA gehandelt, den Vater in den Tod zu treiben? Hätte es nicht eine bessere Sühne dargestellt, wenn der Vater den Tod auf dem Schlachtfeld gesucht hätte, wenn er noch eine Anzahl Feinde mit ins Jenseits genommen hätte?«
Ja, alles ist verbesserungsfähig auf dieser Welt, und das meint auch dieses anderere Buch, in dem von der »Dienstvilla« des SA-Professors die Rede ist. Es ist ein kompliziertes moralphilosophisches Werk, heißt »Verräter, Zufallshelden oder Gewissen der Nation? Facetten des Widerstandes in Deutschland« und behandelt ausführlich das tragische Geschehen im »Haus Klausing«, wie es die Villa an der Bubentscher Straße 55 auch benennt. Aber irgendwann, nach vielen Seiten, als unser SA-Professor längst verblutet ist, zitiert das Buch doch noch - wir vergessen ihn nicht - einen Gewährsmann namens Friedrich Kuhn-Weiss, welche Bewandnis es mit dieser »Dienstvilla« hatte:
Unter Eichmann-Verwaltung
»Es standen viele Villen frei in Bubentsch, bedingt durch die Verhältnisse, daß die Besitzer nicht mehr da waren, die Vorbesitzer. Das wurde zugeteilt. Man hatte eine Miete gezahlt an eine Institution, die das alles verwaltet hat. Es war keine teure Sache, so eine Villa zu haben. Es war normal.«
Die Institution, die das alles verwaltete, hieß übrigens »Auswanderungsfonds für Böhmen und Mähren« und unterstand dem Auswanderungsfachmann Adolf Eichmann.
Es war normal. Der Verfasser des Widerstandsfacetten-Buches, der dieses Zitat wiedergibt, fragt: »Wie >normalnormalZentralverband der Industrie für Böhmen und MährenUnbekannten< bestens für diesen Beweis Ihrer aufrichtigen Verbundenheit und hoffe, daß uns das Neue Jahr bei bester Gesundheit in Erfüllung unserer Aufgaben am Leben läßt.«
Dies tat das Neue Jahr 1945 und die dreißig folgenden taten es auch.
Das fröhliche Trio
Der 6. Mai 1975 - zweieinhalb Jahre vor seinem Tod - war ein großer Tag im Leben des Hanns Martin Schleyer. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände richtete ihm zu seinem 60. Geburtstag einen Empfang im Kölner Inter-Continental aus. Und da wuchs zusammen, was ja auch zusammengehört: der alte Hitlerstaat und die Demokratie, so wie wir sie damals in der Bundesrepublik hatten. Zwei Fotos von dem Fest auf den Seiten 313 und 314 in Hachmeisters Schleyer-Buch demonstrieren diese Verbundenheit, die der Biograph hier nicht analysiert - er mokiert sich lieber über Schleyers bescheidene Geburtstagswünsche. Das erste Foto zeigt Schleyer vergnügt lachend mit zwei alten Freunden, die Komplizen aus dem Protektorat: sein von ihm beherrschter Exchef Bernhard Adolf, der für die totale Arisierung der tschechischen Industrie zuständig war. Und sein Vorgänger im ZVI-Amt Friedrich Kuhn-Weiss vom SD-Sonderkommando zur »Bandenbekämpfung«, der Judenvernichtung, an der der Freund so »außerordentlich aktiv« beteteiligt war. Das Trio plaudert angeregt - von alten Zeiten?
Das zweite Foto zeigt nur das Blatt mit der Tischordnung. Da sitzen an einer langen Tafel zusammen mit Schleyer der Exkanzler Kurt Kiesinger (­NSDAP/CDU und im Auswärtigen Amt Kontaktmann zu Goebbels), der spätere Bundespräsident Karl Carstens (NSDAP/CDU), der spätere Sachsenkönig Kurt Biedenkopf und natürlich der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl, beide CDU, zu jung für die NSDAP, aber beide aus dem mächtigen Freundeskreis des großen Ariseurs Kurt Ries, Schleyers Fuchsmajor.
Zweieinhalb Jahre später wurde Schleyer von der RAF ermordet.
Vergangenen Mai nun hat auch Helmut Kohl, der als Kanzler das neue große Deutschland geschaffen hat, den Hanns-Martin-Schleyer-Preis erhalten (wie 1992 auch Birgit Breuel, die Treuhandpräsidentin). Kohl, gesundheitlich angeschlagen, kann nur eine kurze Dankesrede halten. »Ich habe einen Freund verloren«, sagt er immer wieder und meint den Namensgeber seines Preises. Freundschaft, sagt Kohl, könne nur gelingen, »wenn sie bis ins Innerste unserer Seelen und Herzen funktioniert«. Es ist, so das Urteil von Beobachtern, das Motiv seiner Rede. Und, so sagt Kohl, »die Jahre des Terrors« seien furchtbare Jahre gewesen.
Sagt er und meint damit nicht die Regierungszeit Adolf Hitlers, sondern die seines Vorgängers Helmut Schmidt, die Zeit der RAF.
Daß sie Schleyer ermordete, war trotz allem ein Verbrechen. Aber es war auch eine furchtbare Dummheit.
Stefan Wisniewski, Exmitglied der RAF und Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters, erklärte, warum. Wenn die Industrie damals bereit war, »jede Summe« für den 62jährigen entführten Schleyer zu zahlen, hätte die RAF Entschädigung für Hunderttausende tschechische Zwangsarbeiter verlangen sollen - und ihn dann laufen lassen. Zu spät bedauert er: »Solche historische, gesellschaftliche und menschliche Sensibilität hatten wir damals leider nicht.«
Neue Literatur
Erich Später: Villa Waigner - Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939-1945, konkret-texte 50, Hamburg 2009, 100 Seiten, 12 Euro
Bernd Rüthers: Verräter, Zufallshelden oder Gewissen der Nation? - Facetten des Widerstandes in Deutschland, Mohr Siebeck, Tübingen 2008, 19 Euro
Image  http://media.de.indymedia.org/images/2009/10/264550.jpg
Deutschland im Herbst

Autore: pjotr 30.10.2009 19:05 ...... aus:  http://de.indymedia.org/2009/10/264549.shtml
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