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And Blair's Nothern Ireland?

karl | 08.06.2003 14:24

An update on the situation in Northern Ireland, new book and essay in German

And Blair's Nothern Ireland?
And Blair's Nothern Ireland?


Die Axe de Boesen……. Welt weit?
Ireland


Geschichte des Konfliktes
1969: Nach blutigen Unruhen in der Stadt Derry werden im August Einheiten der britischen Armee in Nordirland stationiert. Die katholische Minderheit betrachtet sie als Besatzungsmacht.
1970: Wiedergründung der katholischen Untergrundorganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA).
1971: Bei einem Anschlag protestantischer Milizen werden am 4. Dezember in Belfast 15 Menschen getötet.
1972: Am 30. Januar, seither als "Bloody Sunday" bekannt, töten britische Soldaten in Derry 14 unbewaffnete Katholiken. Angesichts der eskalierenden Gewalt, die allein in jenem Jahr 474 Menschen das Leben kostet, wird das Regionalparlament aufgelöst und Nordirland britischer Direktverwaltung unterstellt.
1974: 21 Tote bei Anschlägen der IRA gegen Zivilisten in Birmingham.
1979: Bei einem Anschlag gegen die britische Armee tötet die IRA 18 Soldaten. Mit Lord Mountbatten wird erstmals ein Mitglied der Königsfamilie Opfer der Untergrundorganisation.
1985: Abkommen zwischen London und Dublin, mit dem der Republik Irland erstmals explizit das Recht auf teilnehmende Beobachtung der Nordirlandfrage eingeräumt wird.
1991-92: Mehrparteiengespräche über die Zukunft Nordirlands in London, bei denen erstmals protestantische Gruppen aus der Provinz mit der irischen Regierung an einem Tisch sitzen. Die Sinn Fein, der politische Arm der IRA, ist nicht beteiligt. Die Gespräche enden im November 1992 ergebnislos.
1993: Ab Februar unterhält London Geheimkontakte zur IRA. Am 16. Dezember unterzeichnen die Regierungschefs Großbritanniens und Irlands, John Major und Albert Reynolds, die "Downing-Street-Erklärung", in der die Rahmenbedingungen einer Friedensregelung aufgezeigt werden. Der Sinn Fein wird ein volles Mitspracherecht eingeräumt, falls die IRA der Gewalt abschwört.
1994 31. AUGUST: Die IRA verkündet eine einseitige Waffenruhe. 13. OKTOBER: Protestantische Milizen kündigen einen Waffenstillstand an.
1995 22. FEBRUAR: Major und sein irischer Kollege John Bruton präsentieren ein Rahmenabkommen als Grundlage für Mehrparteien-Verhandlungen. London und Dublin erklären sich bereit, ihren Souveränitätsanspruch auf Nordirland aufzugeben. 10. MAI: London nimmt Gespräche mit der Sinn Fein auf.
1996 9. FEBRUAR: Die IRA bricht ihre Waffenruhe durch ein Attentat in London, bei dem zwei Menschen getötet und etwa hundert verletzt werden. Irlands Premier John Bruton (von rechts), der britische Premier John Major und Nordirland- Staatssekretär Sir Patrick Mayhew 10. JUNI: In Stormont bei Belfast beginnen Friedensgespräche, von denen die Sinn Fein zunächst ausgeschlossen ist.
1997 16. MAI: Der neugewählte britische Premierminister Tony Blair bietet der Sinn Fein neue Kontakte an. Ein erstes Treffen findet am 21. Mai statt. 16. JUNI: Als die IRA zwei Polizisten erschießt, wird der Dialog wieder abgebrochen. 25. JUNI: Blair schlägt vor, im September parallel zur Entwaffnung der Milizen mit Friedensgesprächen zu beginnen. Die Sinn Fein darf teilnehmen, falls die IRA eine Waffenruhe verkündet und diese sechs Wochen lang einhält. 20. JULI: Neue Waffenruhe der IRA tritt in Kraft. 14. SEPTEMBER: Friedensgespräche beginnen mit Beteiligung der Sinn Fein. 27. DEZEMBER: Der Mord an dem protestantischen Milizenchef Billy Wright im Hochsicherheitsgefängnis Maze löst eine wochenlange Anschlagsserie aus, in deren Verlauf mehrere Menschen sterben.
1998 30. MÄRZ: Die Friedensverhandlungen treten mit täglichen Beratungen in die entscheidende Phase. 10. APRIL: Die Verhandlungspartner einigen sich auf ein Abkommen, über das Ende Mai bei Referenden abgestimmt wird. 22. MAI: Volksabstimmungen in Irland und Nordirland billigen das am 10. April vereinbarte Friedensabkommen, das u. a. die Schaffung von Regionalparlamenten vorsieht. 27. JUNI: Bei der Wahl zum Provinzparlament in Stormont setzen sich Befürworter des Friedensprozesses durch. Der als gemäßigte geltende Protestantenführer David Trimble wird zum Ersten Minister Nordirlands bestimmt, sein Stellvertreter soll der moderate Katholik Seamus Mallon werden. 1. AUGUST: Bei einem Autobombenanschlag der Splittergruppe "Wahre IRA" werden 35 Menschen verletzt. 8. AUGUST: Die Protestantengruppe LVF gibt einen Gewaltverzicht bekannt. 15. AUGUST: 29 Tote und 220 Verletzte durch Autobombe in Omagh. 3. SEPTEMBER: Die Parlamente Großbritanniens und Irlands stimmen schärferen Gesetzen bei Bekämpfung von Terrorismus zu. 10. SEPTEMBER: Der protestantische Regierungschef David Trimble und der Präsident der pro-irischen Sinn Fein, Garry Adams, kommen als führende Vertreter der beiden politischen und religiösen Lager zum ersten Mal zusammen. 16. OKTOBER: Friedensnobelpreis für den protestantischen Unionisten David Trimble und den gemäßigten katholischen Nationalisten John Hume.
1999 10. MÄRZ: Das Zieldatum für Bildung einer nordirischen Regionalregierung verstreicht wegen Streits um die Entwaffnung der IRA. Bei einem Anschlag im März 1999 wird die katholische Rechtsanwältin Nelson getötet 15. MÄRZ: Die katholische Rechtsanwältin Rosemary Nelson wird mit einer Autobombe ermordet. Zu dem Anschlag bekennt sich eine protestantische Splittergruppe.
30. JUNI: Ein von Tony Blair gesetztes Ultimatum verstreicht, da bei Krisengesprächen in Belfast keine Einigung erzielt werden kann. 14. JULI: Das britische Unterhaus beschließt ein Nordirland-Gesetz, das die sofortige Bildung der nordirischen Regionalregierung vorsieht. Die Unionisten von Trimble stimmen dagegen. Nach einem Treffen der Parteispitze lehnt Trimble eine gemeinsame Regierungsarbeit mit Sinn Fein ab. Dadurch läßt sich das Gesetz nicht umsetzen.

Ausblick

Der Friedensprozes in Nordirland scheint erneut gefährdet. Nachdem sich die IRA (Irish Republican Armee) geweigert hat, sich an die Vereinbarungen der Abrüstung zu halten, hat London die noch junge Arbeit der Provinzregierung Belfasts wieder einstellen lassen und hat nun wieder volle Befehlsgewalt über Nordirland

Die Geschichte der IRA Der Gründung der IRA gehen eine Menge gewaltbereite Organisationen voraus. Man kann auch nur schwer die Geschichte zurückverfolgen, weil daraus kein großer Hehl gemacht wird. Die Anfänge lassen sich bis zum "Bloody Sunday" zurück verfolgen als eine Handvoll Rebellen an Ostern 1916 das Postgebäude in Dublin stürmten und die irische Republik ausriefen. Ihr Anführer war Patrick Pearse. Über 400 zeugen wurden verhört und zahlreiche Rebellen erschossen. In Erinnerung an diesen Aufstand bezeichnet sich die IRA heute noch als „Provisional Irish Republikan Army.“ Mit der Gründung der IRA wird der Name Michael Collins genannt. Er war der ersten der gezielt Anschläge auf die Engländer unternahm. Am Anfang war die IRA dazu da die Katholiken in Nordirland vor Ungerechtigkeiten zu beschützen, doch entwickelte sie sich im Laufe der Jahre zu einer militanten Armee. 1922 wurde die IRA sowohl in Nordirland wie in der Republik verboten. Noch vor der IRA wurde die „Sinn Fein“ gegründet. Sie hatte ihre offizielle Gründung um 1905 herum. Als wichtiger Punkt in der Geschichte der IRA gilt der 1933 gescheiterte Waffenklau, bei dem zwar 99 Gewehre, acht leichte Bren- Maschinengewehre, zehn Sten- Maschinengewehre, ein Browning Maschinengewehr, ein leichter Mörser und eine Piat- Atitunkkanone erbeutet, doch wurden die Diebe von einer Polizeistreife aufgehalten und gestellt. Im Gefängnis teilten sich die Meinungen der drei Häftlinge: Cathal Goulding, John Stephenson der sich in Sean Macstiofein umbenennen ließ und Manus Canning. Goulding begann im Gefängnis einzusehen, daß ein militantes Vorgehen gegen die Engländer sinnlos sei. Macstiofein hingegen wurde zu einem „[...] verbitterten, von Haß auf die Engländer besessenen Mann [...]“ das war die Aufsplitterung der IRA, doch sie ließ sich nicht entmutigen.
Die Finanzen der IRA Zur Durchführung der meistens brutalen und kostspieligen Operationen und Anschläge der IRA bedarf es einer guten Organisation, guten Verbindungen in der ganzen Welt und vor allen Dingen ein volles Konto. Laut angaben des britischen Geheimdienstes hat die IRA damit keine Probleme. Die IRA hat sogar eine extra Spendenorganisation gegründet (NORAID), die in den USA bei irischen Emigranten für eine Spende zur Befreiung der Heimat wirbt. Meist wissen die Spender gar nicht was mit ihrem Geld angestellt wird. Dazu kommen noch zahlreiche Tarnfirmen, unter anderem im Baugewerbe und in der Industriebranche und einige Hotels. Dadurch kann die IRA auch ihr schmutziges Geld waschen, was sie mit Mafiamethoden z.B. Erpressung verdient hat. Ein Gerücht besagt, daß es in Dublin keinen Taxifahrer geben soll, der kein Schutzgeld bezahlt. Dabei hilft die Tatsache, daß kein anständiger Nordire zur Polizei oder den Briten gehen würde. (Angaben: Reinhard Penninger, (Nord-) Irland, hpt- Verlagsgesellschaft, S. 93 und fortlaufend.) Die IRA ist auch im Waffenhandel aktiv. Besonders nach Aufhebung des eisernen Vorhangs. Hierbei kommen ihr die guten Beziehungen zu Terroristen Organisation in Libyen, den Arabischen Staaten und auf der ganzen Welt. In den Waffenlagern der IRA stehen nach Angaben verschiedener Geheimdiensten mehr als zwei Tonnen Semtex (hochexplosiver Sprengstoff) und amerikanische Boden- Luftraketen sollen sich auch in ihrem Besitz befinden. (Angaben: Internet Gamestar Politik, Hintergrund: die Waffen der IRA.)
Die Ideologie der IRA Kaum eine Rebellions- oder Terrororganisation hat auf Dauer so eine Loyalität wie es bei der IRA der Fall ist. Die IRA hat sich darauf spezialisiert ihre (möglichen) feinde das Fürchten zu lehren und ihre Verbündeten zu belohnen. Wenn sich ein Mitglied der IRA im Kampf gegen die Briten bewährt hat, wird er ab und zu einen Umschlag mit Geld im Briefkasten entdecken. Einen Bonus hat die IRA dadurch, daß von den eigenen Reihen (Katholiken) keiner die IRA verraten würde. Jedoch sind die meisten Katholiken in Irland gegen die Methoden der IRA. Für Viele klingt das Ziel der IRA unausgearbeitet und ungenau. Das Ziel, daß der IRA soviel bedeutet ist sehr einfach es beruht darauf, daß der Terror so lange gesteigert wird, bis es für die Briten so teuer und vor der Öffentlichkeit nicht mehr zu verantworten ist, daß sie sich zurückziehen. Sollte dieses Ziel jemals erreicht werden verspricht die IRA sogar freie Wahlen. Die Ansicht der IRA ist sehr sozialistisch eingestellt, so schlägt die IRA eine verstaatlichung der Polizei vor.


Die „Unionist Party“ ist der Repräsentant der Protestanten.
Sie wurde 1986 zur Zeit der Auseinandersetzung um „Home Rule“ gegründet. Mit der Zeit entwickelte sich die „Unionist Party“ zu dem Machthaber in Nordirland. Die Unionist Party, „der es gelang über 50 Jahre unangefochten die nordirische Politik in allen Bereichen zu beherrschen,“ steht vor allen dingen für den Kampf gegen die IRA. Die Wählerschaft der „Unionist Party“ ist von 1921- 1969 fast unverändert geblieben
Die 52 sitze verteilen sich wie folgt:
Jahr „Anti- Partition“ „For- Union“ Davon "Unoionis-Party
1921 12 40 40
1925 12 40 33
1929 11 41 37
1933 11 41 36
1928 09 43 39
1945 12 40 33
1929 11 41 37
1953 12 40 38
1958 10 42 37
1962 12 40 34
1965 11 41 36
1969 12 40 3

Home Rule


['hÇumru:l; engl., „Selbstregierung“] die Forderung einzelner Gebiete des Brit. Reichs (vor allem Irlands u. Indiens, aber auch Schottlands u. Wales') nach Selbständigkeit. Bes. dramat. war der Kampf der Iren um die H. R. im 19. u. im ersten Drittel des 20. Jh., dann der Inder unter M. ðGandhi. In beiden Fällen endete er mit der völligen Trennung von Großbritannien. ðIrland (Geschichte).

Eng zusammen mit der „Unionist Party“ arbeitet der „Orange Order“. Ob ein Politiker in Kreisen der „Unionist Party“ Aufstiegschancen hat hängt meist von seinem Engagement im „Orange Order“ ab. Der „Orange Order wurde 1795 gegründet aus der Widerstandsbewegung von Wilhlem von Orannien. Offiziell hat der „Orange Order“ nur 90 000 Mitglieder, aber sein Einfluß auf die protestantische Bevölkerung ist weit größer als diese Mitgliederzahl. Der „Orange Order“ ist in mehrere Bezirksparteien unterteilt. „ Neben den lokalen ‚Orange Lodges‘ gibt es ‚District Lodges‘, ‚County Lodges‘ und die ‚Grand Lodges‘.“ (Klaus stadler „Nordirland“ Wilhelm Finke Verlag). Berühmt ist der legendäre Umzug des Ordens bei dem es regelmäßig zu Ausschreitungen kommt, so daß dieser Umzug vor einigen Jahren von der britischen Regierung verboten wurde.

Zeittafel
432 Beginn der Bekehrung Irlands zum Christentum
520 – 800 Blütezeit der irischen Klöster und ihre Missionen in Nordeuropa
795 Beginn der Wikingerüberfälle
1014 Der irische Hochkönig Bryan schlägt die Wikinger bei Clontarf
1169 Beginn der anglormannischen Invasion
1171 Der englische König Heinrich der II. kommt mit einer Armee nach Irland
1366 England versucht mit dem Statut von Kilkenny das Aufgehen der englischen Oberschicht in die irische Bevölkerung zu verhindern
1487 „Aristokatische Selbstverwaltung“ in Irland
1534 Rebellion der englische-katholischen Oberschicht gegen die Reformation Heinrichs VIII.
1556 Erste Besiedlung Irlands durch englische Protestanten
1569 - 1583 Aufstand des Herzogs von Desmond
1595 - 1603 Rebellion der Herzöge O`Neill und O`Donnell in Ulster
1608 Protestantische Besiedlung Ulsters
1641 – 1649 „Große Rebellion“ in Ulster und Aufstand der Katholiken im Bund von Kilkenny gegen Englands puritantisches Parlament
1649 Oliver Cromwell unterwirft Irland
1690 Wilhelm von Oranien sieg in der Schlacht an der Boyne über Jakob II. Einführung der Penal Laws
1798 Rebellion der United Irishem unter Wolf Tone gegen die britische Oberschaft
1800 Union mit England
1829 Katholische Emanzipation
1846 - 1848 Große Hungersnot
1848 Rebellion der Young- Ireland-Bewegung
1867 Aufstand der Irisch Republican Brotherhood, der Fenians
1868 Entstaatlichung (Disestablishment) der protestantischen Kirche in Irland
1979 Michael Davitt gründet die Land Liga
1880 - 1890 Charles Stewart Parnel führt die Irisch Parliamentary Party im ennglischen Unterhaus
1886 Gladstones erste Home Rule Bill scheitert
1892 - 1893 Glandstones zzweite Home Rule Bill vom Oberhaus abgelehnt
1900 Gründung der Sinn-Fein-(Wir selbst-)Bewegung
1914 Dritte Home Rule Bill verabschiedet, Inkrafttreten aber wegen Auusbruchs des Ersten Weltkrieges aufgeschoben
1916 Osteraufstände in Dublin und Ausrufung der Republik
1918 - 1919 Sinn Fein gewinnt die Wahlen und gründet das erste unabhängige nationale irische Parlament, das Dail Eriann
1921 Unterzeichnung der englisch-irischen Freistaatsvertrages in London
1922 - 1923 Bürgerkrieg wegen der Unterzeichnung des Vertrages durch die Früherer Sinn-Fein-Mehrheit
1933 De Valera schaft den Treueid gegenüber dem englischen König ab
1937 Annahme einer neuen Verfassung, mit der Irland die Freistaatbindung an Großbritannien aufgibt, den Titel „Eire“, Irland, annimmt und eine besondere „äußere Assoziation“ mit Großbritannien proklamiert
1948 Ausrufung der Republik Irland und Austritt aus dem Commonwealth
1955 Eintritt in vereinten Nationen
1969 Ausbruch der bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Nordirland

Nordirland

Der Friedensprozess steckt fest
Ob es Zufall ist, dass ausgerechnet jetzt die Verhandlungen festgefahren sind? Am Sonntag wurde die Northern Ireland Assembly – das vor fünf Jahren geschaffene Regionalparlament – offiziell aufgelöst, um den Weg freizumachen für eine Neuwahl der Abgeordneten. Aber auf wann die britische Regierung diese Wahl anberaumt, ist bis heute unklar. Zuerst war sie am 1. Mai vorgesehen, dann wurde sie auf den 29. Mai verschoben. Wenn auch dieser zweite Termin platzt (und dazu tendieren die Ulster Unionist Party – die grösste politische Partei Nordirlands – und die britische Regierung), wird die neue Versammlung kaum vor Herbst gewählt. Wahlverschiebungen sind immer ein schlechtes Zeichen für den Zustand einer Demokratie. Und das derzeitige Gerangel dürfte auch kaum das Ende eines Konflikts markieren, das der britische Premierminister Tony Blair beschwor, als er vor fünf Jahren von der «Hand der Geschichte» sprach, die alle UnterzeichnerInnen des Karfreitagsabkommens berührt habe.
Was also lief schief? Nichts – oder zumindest nicht viel. Der Lösungsweg, den die britische Regierung vorgegeben hat und der von der irischen Regierung wie der einflussreichen irisch-amerikanischen Lobby in den USA unterstützt wurde, steht weiterhin offen. Aber ist auch noch der Plan der republikanischen Führung intakt, die vor allem Sinn Féin und die IRA vertritt? Sinn Féin ist dort angelangt, wo die Partei immer schon hinwollte. Und sie hat damit kein ideologisches Problem, sondern ein logistisches.
Bisher hat es die Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams verstanden, ihrer Basis scheibchenweise einen Kurs zu verkaufen, der ihren einst hochgehaltenen Positionen (wie der Abzug der BritInnen, Vereinigung mit dem Süden zu einem sozialistischen Gesamtirland, d. Red.) zuwiderläuft. Sie hat einen Waffenstillstand durchgesetzt, um Gespräche mit der irischen Regierung zu ermöglichen (1991). Sie hat diesen Waffenstillstand verlängert, damit sich die britische Regierung an den Verhandlungstisch setzte (1994). Sie hat sogar ein britisches Nordirland akzeptiert und ihr Recht auf bewaffneten Kampf aufgegeben (1998), um in der neuen Regionalverwaltung einsitzen zu dürfen. Warum zögert sie ausgerechnet jetzt, wo doch die (protestantischen) UnionistInnen und Blair nicht mehr fordern als früher – nämlich die Aushändigung aller IRA-Waffen und eine Erklärung, dass der Krieg zu Ende sei?
Die Antwort ist einfach. Die republikanische Führung steht vor dem letzten Zug in ihrem Spiel. Bisher konnte sie so tun, als habe sie Gewinne erzielt, ohne Zugeständnisse machen zu müssen. Noch heute glaubt die republikanische Basis, die Anerkennung ihrer Position (etwa in Form von Sinn-Féin-MinisterInnen) sei allein dem politischen Gespür von Adams und dem Mut der IRA zu verdanken. Dass der Bluff der Sinn-Féin-Spitze gerade jetzt auffliegt, dass sie nun ausgerechnet kurz vor der Neuwahl des von ihr so sehr befürworteten Regionalparlaments dazu gezwungen werden soll, einen Offenbarungseid abzulegen, ist freilich der Gegenseite zuzuschreiben. Den UnionistInnen geht es nämlich nicht nur um die Beibehaltung der politischen Union mit Britannien. Kern des Unionismus ist immer noch der Überlegenheitsgedanke – die (katholischen) NationalistInnen sind minderwertige Lebewesen, die es zu kontrollieren gilt.
Die UnionistInnen hatten das Karfreitagsabkommen 1998 nur unterschrieben, weil sie glaubten, dass die irischen RepublikanerInnen nie einer Teilung Irlands zustimmen würden. Dass diese mit so grossem Enthusiasmus frühere Positionen ablegen würden – darauf waren sie nicht vorbereitet. Dass die RepublikanerInnen sich mit Begeisterung an die Verwaltung eines Staates machen würden, den sie einst bekämpften, hat sie besonders erschüttert. Denn plötzlich sassen sie selbst, die ehrenwerten Vertreter der Ulster Unionist Party (UUP), mit «Staatsfeinden» im gleichen Kabinett. Angesichts der Tatsache, dass die protestantisch-unionistische Bevölkerungsmehrheit das Karfreitagsabkommen weiterhin ablehnt, war dies eine denkbar schlechte Ausgangslage für den bevorstehenden Wahlkampf. Deswegen haben sie in der Vergangenheit immer wieder Sinn Féin die Zusammenarbeit aufgekündigt, deswegen hat London im Oktober letzten Jahres die Selbstverwaltung ausgesetzt, deswegen sind Blair und die UUP jetzt für eine weitere Verschiebung der Wahl – sie fürchten Zugewinne der noch weiter rechts stehenden, christlich-fundamentalistischen Democratic Unionist Party (DUP), die noch immer von Ian Paisley dominiert wird.
Ihre Sorge ist berechtigt. Aber stecken wir deswegen in einer Krise? Es kommt nicht wirklich darauf an, ob jetzt eine Wahl stattfindet oder nicht, ob sich die IRA auflöst oder nicht, ob wir eine neue Versammlung bekommen oder nicht. Der Krieg ist vorbei. Die RepublikanerInnen haben weder den Wunsch noch die Fähigkeit, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Die katholisch-nationalistische Bevölkerung würde dies nicht tolerieren, wie die IRA-Abspaltungen (die Continuity IRA und die Real IRA) zu ihrem Leidwesen erfahren mussten. Den politischen Parteien bleibt nur eine Wahl: den von London vorgegebenen Kurs weiter mitzumachen oder draussen zu bleiben. Der britischen Regierung ist es egal, ob sie mit ihnen oder ohne sie herrscht, solange es keinen Krieg gibt.
Das heisst nicht, dass der Bevölkerung alles gleichgültig wäre: Jedes dritte Kind wächst unterhalb der Armutsgrenze auf, ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung kann kaum lesen und schreiben. Der Krieg gegen den Irak hat auch viele dazu gebracht, ihre Haltung zu den USA – die hier einst als Garantin einer friedlichen Lösung des Konflikts galten – neu zu überdenken. Dass George Bush bei seinem Nordirland-Besuch vor kurzem gleichzeitig seine Vorstellung von einem Frieden hier mit seinen Vorstellungen von einer Neuordnung im Irak verband, empfanden viele als Frechheit.

Nordirland: Den moderaten Unionisten läuft die Basis weg

Der heisse Hauch des Predigers


Bisher sind die protestantischen Märsche aussergewöhnlich friedlich verlaufen. Und doch könnte das Friedensabkommen platzen.

Der Aufruhr konnte sich sehen lassen. Steine sausten durch die Luft, Flaschen segelten hinterher, empörte DemonstrantInnen attackierten Polizisten, die Wasserwerfer auffahren liessen und Plastikgeschosse abfeuerten. Im Vergleich zu früheren Jahren aber verlief der Höhepunkt der nordirischen Marschsaison recht friedlich. In Portadown zum Beispiel, wo der protestantische Oranierorden seit fünf Jahren nicht mehr von der kleinen Kirche von Drumcree kommend durch die katholische Garvaghy Road ziehen darf, wurden bei Scharmützeln laut Polizeiangaben lediglich 24 Beamte «und einige Zivilisten» verletzt. Auch in Belfast flackerten am Freitag nur vereinzelt Strassenschlachten auf. An jedem 12. Juli feiern Nordirlands ProtestantInnen den Sieg ihres Königs Wilhelm von Oranien über seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob (1690), und sie tun es besonders gern an jenen Stellen, wo sie den KatholikInnen so richtig schön zeigen können, wer Herr im Haus ist – in deren Wohngebiet nämlich. In Westbelfast marschierten die Oranier durch die katholische Springfield Road. Dort flogen Holzprügel, Ziegel und Molotowcocktails (diesmal geworfen von den AnwohnerInnen), doch auch hier dauerte die Schlacht nicht lange. Und in Nordbelfast, wo letztes Jahr noch mehrere Nächte hindurch KatholikInnen gegen ProtestantInnen (und beide Seiten gegen die Polizei) gekämpft hatten, blieb es ausgesprochen ruhig – dank einem Grosseinsatz der IRA. Die hatte mehrere altgediente Kämpfer aufgeboten, um die aufgebrachten KatholikInnen zu beruhigen, wie der Belfaster Polizeichef lobend bemerkte.
Dass die grosse Auseinandersetzung diesmal ausblieb, hat mehrere Gründe. So beschränken sich die Auseinandersetzungen zwischen den BewohnerInnen der katholischen und der protestantischen Armutsquartiere längst nicht mehr nur auf die Feiertage im Oranierkalender. Zu Jahresbeginn und im Frühling – also lange vor Beginn der Marschsaison – hatte es an den Brennpunkten in Nord- und Ostbelfast mehrfach gekracht. In einem Fall verletzten Heckenschützen der IRA, die ihr Viertel bedroht sahen, fünf Protestanten (siehe WoZ Nr. 23/02). Es braucht also keinen 12. Juli mehr, keinen historischen Anlass, um auf den Gegner loszugehen. Dazu kommt, dass der Konflikt derzeit vermehrt parlamentarisch ausgetragen wird.
So hat Regionalpremier David Trimble wieder einmal ein Ultimatum gestellt. Trimble verlangt, dass London die IRA-Partei Sinn Féin aus der nordirischen Mehrparteienregierung wirft. Seinem Verständnis nach zeigen die Schüsse im Mai, die Berichte über die IRA-Kolumbien-Connection und der letztjährige Einbruch in der wichtigsten Polizeiwache Nordirlands (den die Ermittlungsbehörden absurderweise der IRA anlasten), dass die IRA weiterhin aktiv ist. Sinn Féin, so Trimble, habe damit gegen das am Karfreitag 1998 unterzeichnete Friedensabkommen verstossen. Tony Blair müsse noch vor der parlamentarischen Sommerpause handeln (sie beginnt Mitte nächster Woche), sonst werde er zurücktreten und mit seiner Partei, der gemässigten probritischen Ulster Unionist Party (UUP), alle Regierungsgeschäfte boykottieren.
David Trimble weiss natürlich, was er da tut. Er weiss genauso gut wie Blair, dass der Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams sehr daran gelegen ist, den Friedensprozess in Gang zu halten. Er weiss auch, dass Adams grosse Mühe hat, die wachsende Schar frustrierter IRA-Mitglieder zu bändigen, sie sich fragt, was das Karfreitagsabkommen eigentlich gebracht habe. Aber während die Sinn-Féin-Führung immerhin auf politische Erfolge verweisen kann (sie ist im irischen Parlament mit fünf statt vormals einem Abgeordneten vertreten), laufen ihm, dem Friedensnobelpreisträger Trimble, die WählerInnen davon. Schon die Unterhauswahl im Juni 2001 hatte ihm ein Desaster beschert. Seine Partei UUP verlor ein Drittel ihrer Sitze, während die Democratic Unionist Party (DUP) die Zahl ihrer Mandate von zwei auf fünf mehr als verdoppeln konnte. Die DUP aber ist die Partei des protestantischen Predigers Ian Paisley, der jeden Ausgleich, jedes Zugeständnis an die katholische Minderheit in Nordirland kategorisch ablehnt.
Mit Paisley im Nacken, dessen Haltung übrigens auch eine Mehrheit der UUP-Unterhausabgeordneten teilt, muss Trimble nun in den nächsten Wahlkampf ziehen. Im Mai nächsten Jahres entscheidet die Bevölkerung Nordirlands über die Zusammensetzung des nordirischen Regionalparlaments. Die Auswahl der KandidatInnen beginnt im September, nach der Sommerpause. Nach dem im Karfreitagsabkommen festgelegten Modus stellt die stärkste Fraktion im Belfaster Parlament den Regionalpremier, die zweitstärkste Fraktion den Vizepremier. Da eine wachsende Mehrheit der ProtestantInnen den Friedensprozess ablehnt und zudem die katholisch-sozialdemokratische SDLP gegenüber Sinn Féin an Boden verliert, könnte der nächste Premier Ian Paisley heissen – und sein Stellvertreter Gerry Adams.
Ein Sieg des Predigers hätte verheerende Auswirkungen. Um Paisley zu stoppen, greift Trimble freilich zu Massnahmen, die den Friedensprozess ebenfalls beenden könnten. So rächt sich allmählich, dass die Verantwortlichen in London, Dublin und Washington mit dem Karfreitagsabkommen ein Lösungsmodell entworfen haben, das allein auf die Führungsfiguren der verschiedenen nordirischen Gruppierungen zugeschnitten war und die Bevölkerung beiseite liess. Das Abkommen hatte ja allen alles versprochen (den ProtestantInnen die Union mit Britannien, den KatholikInnen die Wiedervereinigung mit Irland) in der Hoffnung, dass im Laufe der Zeit die Gegensätze geringer würden. Doch die Gegensätze sind gewachsen – weil die, die den Krieg von ihren Ghettos aus geführt haben, mittlerweile jede Hoffnung auf die verheissene Friedensdividende verloren haben. Entlang der Belfaster Shankill Road, einer Hochburg der protestantischen Hardliner, liegt die Arbeitslosigkeit unvermindert bei siebzig Prozent.

Dauerzoff zwischen den Ghettos


Vier Tage dauerten die letzten Strassenschlachten in Belfast. Dabei hat die Marschsaison noch gar nicht begonnen.

Auf ihre Weise haben im Osten von Belfast Jugendliche die Feiertage zum Thronjubiläum der britischen Königin begangen: mit Handgreiflichkeiten, mit Steinen, mit Brandbomben und am letzten Abend auch noch mit Gewehren. Die Auseinandersetzungen hatten bereits am Freitag begonnen, als probritische ProtestantInnen ihre Wimpel und Girlanden zu Ehren der Queen auch in unmittelbarer Nähe der irisch-nationalistischen Enklave Short Strand anbringen wollten. Short Strand liegt inmitten des überwiegend protestantischen Ostbelfast und ist an allen Seiten von der so genannten «Friedenslinie», einer hohen Mauer, umgeben. Früher waren die rund zweitausend katholischen BewohnerInnen der Enklave immer wieder von ihren Nachbarn angegriffen worden – und am Gefühl der Bedrohung hat sich offenbar wenig geändert. Jedenfalls scheint im Zuge der Auseinandersetzungen der letzten Tage, an denen jeweils mehrere hundert Jugendliche beteiligt waren, auch das eine oder andere IRA-Mitglied mitgemischt zu haben – Polizeiangaben zufolge seien die Schüsse, die acht Personen verwundeten, aus Short Strand abgefeuert worden.
Während sich im Regionalparlament die PolitikerInnen aller Parteien immer besser verstehen und Konflikte oft einvernehmlich regeln, warten in den Arbeiter- und Armenvierteln von Belfast viele Jugendliche und junge Arbeitslose nur auf einen Anlass, um loszuschlagen. Anfang Mai zum Beispiel genügte schon die Übertragung des schottischen Pokalendspiels zwischen Celtic (vorwiegend katholisch) und Rangers (vorwiegend protestantisch) – kurz nach Abpfiff war in Nordbelfast die schönste Strassenschlacht im Gange. Im Norden der nordirischen Hauptstadt sind protestantische Enklaven wie Tiger Bay von katholischen Wohnvierteln umgeben beziehungsweise katholische Enklaven wie Ardoyne von protestantischen – oftmals nur getrennt durch eine Strasse oder eine Mauer. Dort haben sich seit dem Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 die Spannungen zwischen den beiden Gemeinschaften noch verschärft. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Ulster – ihr zufolge haben bis zu zwei Drittel der 18- bis 25-Jährigen noch nie ein Gespräch mit Leuten von der anderen Seite geführt. Wozu auch? Mit einem Feind redet man doch nicht.
Das genau ist der Kern des Problems. An der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie haben die meisten die Lage mittlerweile begriffen – die von den ProtestantInnen befürwortete Union mit Britannien ist mit dem Karfreitagsabkommen noch stärker geworden. Das sehen inzwischen selbst die protestantischen Hardliner so. Die VerfechterInnen eines gemeinsamen Irlands glauben hingegen, dass irgendwann einmal die katholische Bevölkerung die Mehrheit stellt und für einen Anschluss an den Süden stimmt. Unten aber warten die Menschen immer noch auf ihre «Friedensdividende» in Form von Jobs und sehen sich unmittelbar bedroht. Vor allem die besonders loyal zur britischen Krone stehenden protestantischen Arbeiterjugendlichen sind davon überzeugt, dass sie «ins Meer getrieben» werden sollen. Die Führungen der loyalistischen Paramilitärs haben jedenfalls grosse Mühe, ihre Mitglieder im Zaum zu halten. Der Mord an dem katholischen Postboten Danny McColgan im Januar hat gezeigt, wie locker die Waffen sitzen.
Die Intensität der Auseinandersetzungen könnte zunehmen, wenn die Marschsaison so richtig beginnt – im Juli. Höhepunkt wird auch dieses Jahr wieder der Umzug des protestantischen Oranier-Ordens von Portadown sein. Seit 1995 hat der Marsch der Oranier von der Kirche von Drumcree durch die katholische Garvaghy Road immer wieder zu – mitunter schweren – Kämpfen geführt. Ein Kompromiss scheint auch jetzt ausser Reichweite: Noch immer lehnen es die Protestanten von Portadown ab, mit den KatholikInnen des Ortes auch nur zu reden.

Nordirlands Polizeichef versprach öffentlichen Selbstmord, sollte der Bericht über Omagh stimmen.

Den Finger mit am Abzug


Britanniens Agenten waren in Nordirland stets dabei
William Stobie ahnte, was ihm blühen würde. Zweimal hatte der ehemalige Polizeispitzel das britische Nordirlandministerium um Schutz gebeten – einmal Ende November, ein weiteres Mal Anfang Dezember. Er bekam nicht einmal eine Antwort. Man pflege solche Anfragen nicht öffentlich zu behandeln, sagte hinterher ein Beamter des Ministeriums, das PolitikerInnen und prominente Geschäftsleute stets sofort unter Polizeischutz stellt, wenn diese sich bedroht fühlen. Dabei fühlte Stobie nicht nur die Bedrohung; ihm hatten Polizisten sogar gesagt, dass sein Leben in Gefahr sei. Aber er war erstens wohl nicht prominent genug und zweitens dem Ministerium längst lästig geworden. Und so wurde er am vergangenen Mittwoch frühmorgens von einem Kommado probritischer Paramilitärs vor seinem Haus in Nordbelfast erschossen.
Stobie war eine wichtige Person gewesen – zumindest für all jene, die etwas mehr wissen wollten über die enge Zusammenarbeit der britischen Geheimdienste mit den protestantischen Killerkommandos. Vor allem seine Aussage über die Ermordung des irisch-republikanischen Anwalts Pat Finucane 1989 war von Gewicht. Stobie, führendes Mitglied der loyalistischen Ulster Defense Association (UDA), hatte sich 1987 von der Special Branch, der Geheimdienstabteilung der nordirischen Polizei RUC, anwerben lassen. Als Quartiermeister einer UDA-Einheit in Nordbelfast erfuhr er schon lange vor dem Mord an Finucane, dass ein Anschlag geplant war, und teilte dies auch seinem Agentenführer in der Special Branch mit. Er nannte Namen und beschrieb, wo er wem welche Waffen übergeben hatte – doch nichts geschah. Pat Finucane war damals (Anfang 1989) von einem Mitglied des konservativen Kabinetts im Londoner Unterhaus als Ziel identifiziert und als Terror-Anwalt bezeichnet worden; die britische Regierung störte seinerzeit vor allem, dass der Menschenrechtsanwalt die Todesschuss-Strategie der RUC näher untersuchen wollte, in deren Verlauf mehrere mutmassliche IRA-Mitglieder hingerichtet worden waren. Wäre der Geheimdienst Stobies Hinweisen nachgegangen, hätte er den Anschlag auf Finucane verhindern, zumindest aber nachträglich die Täter von der UDA festnehmen können. Die hat die Polizei bis heute angeblich nicht ermitteln können.
Sein besonderes Wissen über diesen Fall und seine allgemeinen Kenntnisse über die protestantischen Todesschwadronen, die von den britischen Diensten ausgebildet, bewaffnet und angeleitet wurden, schützten Stobie lange Zeit vor Strafverfolgung. Mit Glück überlebte er auch mehrere Versuche seiner ehemaligen Kumpane von der UDA, die ihn als Verräter aus dem Weg schaffen wollten. Erst als Stobies Version der Ereignisse (nicht ohne sein Zutun) publik wurden, machte ihm der Staat den Prozess – wegen Beihilfe zum Mord. Das Verfahren kollabierte im November dieses Jahres, ein Zeuge zog seine Aussage zurück. Er sei nur eine Figur in einem viel grösseren Spiel gewesen, sagte Stobie hinterher, er habe sich «in einem Netz verfangen, das von sehr mächtigen Leuten gesponnen wurde».
Mit Stobie und dessen Geschichte hatte sich Nuala O’Loan kaum befasst, und so war es Zufall, dass die neue, für Polizeifragen zuständige Ombudsfrau O’Loan nur wenige Stunden nach Stobies Erschiessung einen Bericht über die polizeilichen Ermittlungen vor und nach dem Bombenanschlag von Omagh vorlegte. Dieser Bombe der republikanischen Dissidentenorganisation «Real IRA» («wahre IRA») waren im August 1998 mehr Menschen zum Opfer gefallen (29 Tote) als jedem anderen Anschlag in der langen Geschichte des nordirischen Krieges. Auch in diesem Fall hatte die RUC die Täter nie vor Gericht bringen können. Und auch hier fordern Angehörige und Menschenrechtsorganisationen seit langem eine unabhängige Untersuchung.
Unabhängig war O’Loans Untersuchung zwar nicht, aber sie förderte mit Hilfe erfahrener englischer Polizeioffiziere allerlei Ungereimtheiten zutage. Die polizeilichen Ermittlungen seien «mangelhaft» gewesen, heisst es in ihrem Bericht. So habe die Special Branch zwei Warnungen nicht ernst genommen. Die erste Warnung ging elf Tage vor dem Anschlag ein – am 15. August 1998 (exaktes Datum) sei ein Angriff auf Omagh geplant, liess ein anonymer Anrufer die Geheimpolizei wissen. Die zweite Warnung kam drei Tage vorher; ein Polizeispitzel verriet den Namen und das Wagenkennzeichen des mutmasslichen Bombenlegers – aber er wusste nicht, wo der Anschlag stattfinden sollte. Brisant an der Geschichte ist: Bis letzte Woche hatte die RUC stets behauptet, nie Hinweise auf das geplante Attentat erhalten zu haben. Fast noch spektakulärer ist die Aussage, Special-Branch-Agenten hätten einer polizeiinternen Untersuchungskommission jede Menge Dokumente unterschlagen.
Der Bericht schlägt auch deswegen grosse Wellen, weil die bisher fast rein protestantische RUC derzeit zu einem neutralen «Polizeidienst Nordirland» umgebaut wird, allerdings unter alter Führung. Wer soll einer solchen Führung noch vertrauen? Der Report sei ungenau und fehlerhaft, argumentierte daher die Polizeispitze; O’Loans Ermittler hätten keine Ahnung von der Arbeit der Geheimdienste. Polizeichef Sir Ronnie Flanagan sprach sogar davon, öffentlich Selbstmord begehen zu wollen, wenn sich die Anschuldigungen als wahr herausstellten. Wahrscheinlich aber ist, dass der protestantisch-unionistischen Führungspitze in Politik und Polizei ein republikanisches Attentat damals, kurz nach Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens, gar nicht so unrecht gewesen wäre – hätte es doch die proirische Seite arg in Misskredit gebracht. Und so vertuschten sie alles Wissen, nachdem die nicht erwarteten Folgen klar wurden.
Gewiss, die Behörden waren nicht verantwortlich für diesen Anschlag. Sie hatten auch mit dem Mord an Finucane nicht direkt zu tun. Und Stobie? Der wurde von der UDA erschossen – von einer Organisation allerdings, in der bis vor kurzem Polizeispitzel die Mehrheit hatten.

Die IRA entwaffnet sich

Das letzte Hurra der Parlamentarier


Am Montag verkündeten die Chefs die «bahnbrechende» Initiative, am Dienstag folgte der Armeerat bei Fuss: Die irisch-republikanische Untergrundorganisation IRA setzt ihre Waffen – zumindest grossteils – ausser Gebrauch. Und nicht einmal David Trimble, der wegen der Waffenfrage von seinem Amt als Regionalpremier zurückgetreten war und letzte Woche die nordirische Regionalregierung hatte platzen lassen, zweifelt noch am ernsthaften Friedenswillen der IRA.
Trimble wusste natürlich – wie viele andere auch –, dass es einmal zur Entwaffnung der IRA kommen würde. Schon vor Jahren hatte die fast personalidentische Führung von IRA und Sinn Féin, dem politischen Flügel, erkennen lassen, dass der Krieg für sie endgültig vorbei ist. Militärisch war der Kampf gegen die Briten ohnehin nicht zu gewinnen. Durch eine breite politische Front, die von Belfast über Dublin bis Washington reicht, sollte jenes Ziel durchgesetzt werden, für das Generationen von IRA-Freiwilligen vergeblich gefochten hatten: die Vereinigung Irlands. Um diese Allianz zu schmieden, warf die Sinn-Féin-Führung allmählich alles über Bord, was früher für unumstösslich gegolten hatte: Sie akzeptierte die Existenz Nordirlands, beteiligte sich an Wahlen und nahm sogar hin, dass die unionistisch-protestantische Bevölkerungsmehrheit über den Status von Nordirland befinden darf. In der seit 1999 amtierenden Regionalregierung ist Sinn Féin mit zwei Ministern vertreten. Waffen waren für all dies wahrlich nicht nötig.
Das Problem war nur: Wie erklärt man der Basis solch rasante Schwenks? Gerry Adams und Martin McGuinness griffen zu einem Trick: Ihr Parlamentarismus sei nur ein Schachzug, zur Not könne man immer noch zu den Waffen greifen. Dieses Vorgehen erklärt, weshalb die IRA nicht sofort ihr Arsenal vernichtete. Dazu kamen die vielen Angriffe der protestantischen Todeskommandos und die zahllosen Ultimaten der protestantischen Politiker. Es dauerte also eine Weile, bis die Basis zu diesem Schritt bereit war.
Erst als das Friedensabkommen zu kippen schien und die politischen Felle wegzuschwimmen drohten, setzte sich die Führung durch. Nun müssen die VertreterInnen des parlamentarischen Wegs beweisen, dass sie ein vereintes Irland mit ihren Mitteln erreichen können. Sicher ist, dass diese IRA nie wieder in den Kampf ziehen wird. Aber es gibt ja auch noch andere IRAs. Die «Real IRA» zum Beispiel nimmt nur zu gern frustrierte Freiwillige auf.

Hier gibt es mehr Hass als in der Hölle
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Was, um Himmels willen, hat der liebe Herrgott bei diesen beiden Männern bloss angerichtet? Da sitzen sie ordentlich gekleidet und sauber gekämmt in einer Ecke des mit Segeltuch und Plastikfolie abgedichteten Verschlags und würden am liebsten im Boden versinken. Das Protestieren, so viel wird sofort klar, ist ihre Sache nicht. Verlegen gucken sie an die Bretterwand, und ihre Antworten sind – sofern sie überhaupt reagieren – kaum hörbar. Welch dumpfe Schuld hat diese Seelen wohl in solche Demut getrieben? Oder trauen sie einfach dem Neuankömmling nicht? Vielleicht ist es ihnen aber auch gleich, was andere von dem Kampf halten, mit dem sie Nordirland gerade in die nächste grosse Krise stürzen. Und überhaupt: Wozu reden, da doch der Aufenthaltsort alles erklärt? Das Behelfszelt, über dem der Union Jack und die Ulster-Fahne mit der blutroten Hand flattern, steht an der Friedhofsmauer der Himmelfahrtskirche von Drumcree. Hier werden sie am nächsten Sonntag – sofern nicht noch ein Wunder geschieht – den nordirischen Friedensprozess zum Teufel schicken.

Harold Gracey, dessen Wohnwagen hinter der Kirche steht, ist ebenso wortkarg. Man habe den Fremden genau beobachtet, um zu sehen, ob er sich von «denen da unten» hat «Lügen» erzählen lassen – mehr will er erst einmal nicht sagen; «die da unten» sind die BewohnerInnen des katholischen Viertels an der Garvaghy Road. Auf der Hut müsse man derzeit sein, meint Gracey, der Grand Master des protestantischen Oranier-Ordens von Portadown, und kommt plötzlich in Fahrt: die Terroristen hätten sich ja schon fast an die Regierung gebombt! Wo auf der Welt gebe es denn so was! Und er sagt, dass alle durch die Garvaghy Road gehen dürften, nur er und seine Mitstreiter nicht, das sei doch ein sicheres Zeichen dafür, dass «finstere Mächte am Werke sind»!
An diesem Nachmittag sind Gracey und die beiden Kirchgänger im Zelt die einzigen Posten vor Drumcree. Gegen Abend aber kommen die ersten Autos aus Portadown angefahren, später trifft eine Abordnung aus der Grafschaft Tyrone ein, und kurz nach acht haben sich rund zweihundert Männer und Jugendliche bei der Kirche versammelt. Manche tragen purpurfarbene Schärpen, andere haben ihren Bowlerhut aufgesetzt, dann spielen die Trommler und FlötistInnen der Oranier-Loge aus Tyrone das protestantische Triumphlied «Sash», Kirchenlieder und Marschgesänge folgen. Doch marschieren, das dürfen sie nicht. Zweihundert Meter weiter unten, am Fuss des Hügels, haben Polizisten die Strasse abgeriegelt. Hier gibt es kein Durchkommen, also bleiben die DemonstrantInnen oben, reden und warten. Irgendwann gehen die ersten wieder nach Hause, auch die Delegation aus Tyrone fährt heim, kurz nach Mitternacht ist der 62 Jahre alte Harold Gracey wieder allein – aber nur bis zum nächsten Morgen.
In den letzten elf Monaten hat es über zweihundert Kundgebungen und Demonstrationen dieser Art gegeben, manchmal mit fünfzig, manchmal mit fünfhundert oder fünftausend TeilnehmerInnen. Und nicht immer enden sie so friedlich wie an diesem Tag – häufig kommt es zu kleineren Scharmützeln mit der Polizei (die doch eigentlich immer ihre Polizei gewesen war), ab und zu auch zu veritablen Strassenschlachten mit Steinen und Brandflaschen, Hartplastik-Geschossen und Knüppeleinsatz. Denn seit dem 5. Juli 1998 will der Oranier-Orden von Portadown endlich die Parade zu Ende marschieren, die vor einem Jahr von einem Grossaufgebot an Polizei und Armee abgebrochen worden war.

Freiheit oder Sklaverei
Seit vier Jahren stehen Drumcree und die Garvaghy Road im Zentrum der Aufmerksamkeit – die Verhältnisse in der nordirischen Kleinstadt Portadown sind zu einem wichtigen Gradmesser für das politische Klima in Nordirland geworden. Nirgendwo sind die Erschütterungen des protestantischen Gemüts genauer zu registrieren als in dieser Zitadelle des Protestantismus. Denn immer am Sonntag vor dem 12. Juli zogen Mitglieder des Oranier-Ordens von Portadown von Drumcree durch die Garvaghy Road, an der eine irisch-nationalistische Gemeinde lebt, ins Stadtzentrum von Portadown. Am 12. Juli selbst feiern die UnionistInnen* den Sieg Wilhelms von Oranien über die Truppen seines katholischen Konkurrenten Jakob II., die berühmte Schlacht am Boyne 1690. Nur im letzten Jahr kamen sie nicht durch – und diese Schmach steckt tief. Vor dem Waffenstillstand der republikanischen und loyalistischen Paramilitärs 1994 hatten Konflikte um Märsche und andere Rituale nur eine untergeordnete Rolle gespielt; jetzt aber geht es um nicht weniger als «Freiheit oder Sklaverei», «Leben oder Tod». So jedenfalls drückt es der protestantische Kirchengründer und Politiker Ian Paisley aus, der jetzt bei der EU-Wahl wieder einmal die meisten Stimmen in Nordirland erhalten hat (und mehr als alle anderen unionistischen Kandidaten zusammen).
Die Garvaghy Road, durch die die ProtestantInnen unbedingt marschieren wollen, ist eine breite Strasse, viel zu breit für das bisschen Verkehr einer Kleinstadt. Die irische Trikolore, die an allen Laternenpfählen hängt, signalisiert, wer in den billigen Sozialbauten beidseits der Einfallstrasse wohnt. Rund 6000 KatholikInnen haben sich hier niedergelassen, die Hälfte der Erwerbsfähigen ist ohne Arbeit; eine Tankstelle gibt es, fünf Geschäfte, eine Pommes-frites-Bude, einen Friseur. Nur siebeneinhalb Minuten würde ihr Marsch durch diese 500 Meter lange Strasse dauern, sagt Harold Gracey. Siebeneinhalb Minuten pro Jahr – dagegen könne doch nur sein, wer ganz andere Absichten im Schilde führe. Sean Dunbar, 41 Jahre alt, Vater von drei Kindern und seit zwanzig Jahren arbeitslos, sieht das ganz anders. Er sitzt im winzigen Büro der Garvaghy Road Residents’ Coalition im Gemeindezentrum der katholischen Quartierbevölkerung. Das Community Center ist von einem hohen Zaun umgeben und dient (je nachdem) als Kneipe, als Bingo-Halle, als Zentrum des Mietervereins und einer Behindertengruppe, als Treffpunkt der Jugendlichen. «Von wegen siebeneinhalb Minuten», sagt Sean Dunbar. «Auf jeden Protestanten, der hier durchmarschieren will, kommt ein Polizist. Und auf jeden Polizisten kommen zwei Soldaten. Das sind 4500 Sicherheitsleute, die schon am Abend zuvor alle Strassen und Hauseingänge abriegeln.» Mindestens einen Tag lang stünde das ganze Viertel unter Hausarrest.
Anfang der neunziger Jahre hatten die BewohnerInnen der Garvaghy Road genug von dieser alljährlich wiederkehrenden Besetzung ihres Quartiers, sie hatten auch die Nase voll von den Triumphmärschen der Oranier, die mit Pauken, Trommeln, Schmähgeschrei und obszönen Gesten die protestantische Überlegenheit hochleben liessen. Also protestierten sie, erst mit Gejohle, Pfeifen und Spruchbändern am Strassenrand, dann mit Sitzblockaden.


*Die vorwiegend protestantischen UnionistInnen befürworten die Union mit Britannien, die vorwiegend katholischen NationalistInnen eine Vereinigung der irischen Nation. Militanter sind die Loyalisten (sie kämpfen gegen Dublin und die katholische Bedrohung) und die Republikaner (sie sind gegen die britische Präsenz auf der irischen Insel).

Trimble und der Killer
1995 blockierten sie die Strasse zum ersten Mal. Damals wusste die vorwiegend protestantische Polizei Nordirlands noch genau, was sie zu tun hatte, aber sie zögerte ein paar Tage; schliesslich hatte die IRA im Herbst zuvor einen Waffenstillstand erklärt, da wollte es die Regierung in London nicht sofort mit den Republikanern verderben. Ian Paisley war wie stets sofort zur Stelle, und auch der lokale Unterhausabgeordnete der Ulster Unionist Party (UUP), David Trimble, stritt so energisch für den Durchmarsch, dass später die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte. Als nach einem «Kompromiss» die ProtestantInnen mit Tschinderassabum marschieren konnten, schritten Paisley und Trimble Hand in Hand voran. Es war ein historischer Sieg für die Hardliner; kurz danach wurde Trimble zum Vorsitzenden der UUP gewählt. Und die Marschierer erhielten eine Verdienstmedaille.

Bei der zweiten Belagerung 1996 – Sean Dunbar und die BewohnerInnen der Garvaghy Road stellten sich erneut quer – war Trimble wieder präsent und traf sich nebenbei mit Billy Wright, dem Führer der neu gegründeten Loyalist Volunteer Force (LVF). Wright hatte am Tag zuvor, weil die konservative Regierung in London den Marsch untersagt hatte, einen katholischen Taxifahrer töten lassen. Fünf Tage lang standen sich tausende UnionistInnen und die Polizisten der Royal Ulster Constabulary (RUC) gegenüber, dann gaben die Behörden nach. Überall in Nordirland hatte der Oranier-Orden zum offenen Widerstand aufgerufen: Aufgebrachte UnionistInnen blockierten Strassen, Häfen und Flugplätze; selbst die Familien der RUC-Beamten wurden bedroht (die protestantischen Polizisten leben in einem protestantischen Umfeld). Schliesslich prügelte die RUC ihnen den Weg durch die Garvaghy Road frei. Darauf kam es in den katholischen Vierteln Nordirlands tagelang zu Unruhen.
1997, die Labour-Partei hatte gerade einen grossen Sieg errungen, dauerte die Belagerung nur ein paar Stunden – dann wurden die Oranier (für die BewohnerInnen der Garvaghy Road völlig überraschend) frühmorgens durch die Strasse geschleust. Er habe eine Entscheidung treffen müssen, entschuldigte sich später der neue Polizeichef Ronnie Flanagan, und sei zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ein Durchmarsch der UnionistInnen weniger Unruhe bringen würde als eine Konfrontation bei Drumcree. In den folgenden Tagen versuchten republikanische Jugendliche (wie schon im Jahr zuvor), diese Einschätzung zu revidieren: Es kam in der ganzen Provinz zu heftigen Auseinandersetzungen, mit zahlreichen Verletzten.
1998 bahnte sich der nächste Konflikt an. Eine mittlerweile eingesetzte Kommission zur Genehmigung der Paraden hatte den Marsch von Drumcree durch die Garvaghy Road verboten, und die Staatsgewalt blieb standhaft. Der Oranier-Orden rief alle Mitglieder auf, nach Portadown zu kommen (zehntausend waren schon dort), um die Polizeisperre zu durchbrechen, doch dann steckten Loyalisten im fernen Ballymoney ein Haus in Brand. Drei Buben der Familie Quinn kamen dabei um; die protestantischen Hilfstruppen des Oranier-Ordens von Portadown blieben daraufhin zu Hause, und nur Hardliner wie Harold Gracey schworen, den Protest fortzusetzen. Doch die Scham über den Anschlag dauerte nicht lange.

Eine feste Burg
Von Drumcree zum oberen Ende der Garvaghy Road sind es zu Fuss zwölf Minuten, von dort in die Stadt nochmals zehn. Unten, wo die Teppichfabrik steht (690 Beschäftigte, davon 90 katholisch), verjüngt sich die Strasse und wird loyalistisches Territorium, um dann unter dem Autobahnzubringer und der Bahnlinie Belfast–Dublin hindurch ins Stadtzentrum zu führen. «Stadt» ist etwas übertrieben – 20 000 Menschen leben in Portadown –, und auch das Wort «Zentrum» ist zu hoch gegriffen. Zwei Shopping-Center, ein riesiger Parkplatz, dahinter die Hauptstrasse mit Filialen der grossen Ladenketten. Dazu eine Kirche, deren Glocken die Melodie des Luther-Chorals «Eine feste Burg ist unser Gott» intonieren, und eine Baustelle an der Market Street. Die haben die örtlichen Handwerker der Continuity IRA zu verdanken, einer Abspaltung der IRA, die Anfang 1998 vier Häuser sprengte (die richtige IRA hatte 1993 an derselben Stelle mit dem gleichen Ergebnis gebombt). Interessanter an Portadown ist, was hier fehlt – an einem Sonntag zum Beispiel jedes Leben. Am Tag des Herrn steht die Stadt still. Alle Freizeiteinrichtungen haben geschlossen, der öffentliche Nahverkehr ruht, nur ein Inder steht in seiner Kebab-Bude. Am Sonntag geht man zum Gottesdienst und dann wieder heim.
Hundert Meter hinter der Kirche, an der Carleton Street, steht der ehrwürdige Backsteinbau der Orange Hall. Im lokalen Hauptquartier des Oranier-Ordens erläutert David Jones die Ziele seiner Vereinigung. In der Eingangshalle hängen alte Fahnen, das erste Zimmer links ist rundum mit Holz getäfelt, alte, abgewetzte Bänke säumen die Wände. Eine gerahmte Fotografie der Queen dominiert die Längsseite, darunter und viel kleiner die Fotos der Oranier, die dem Orden seit fünfzig Jahren und länger angehören. Den Fenstern gegenüber hängen das Porträt von Lord Mountbatten (dem ehemaligen Vizekönig von Indien, der 1979 von der IRA in die Luft gejagt worden war) und ein uralter Union Jack. Der Loge, die diesen Raum nutzt, gehören vor allem ehemalige Soldaten an.
«Der Oranier-Orden wurde 1795 drei Meilen nördlich von Drumcree gegründet», beginnt David Jones seinen Geschichtsunterricht. Schon damals drohte Gefahr; die katholischen EinwohnerInnen Irlands erhoben sich gegen die protestantischen Siedler (die ihnen alle Rechte und das gute Land genommen hatten, aber das erzählt Jones nicht), welche daraufhin den Geheimbund gründeten; die «Loyal Orange Lodge Nº 1» entstand hier in Portadown (inzwischen verzeichnet der Distrikt 32 Orange Lodges). Schon bald wurde der Orden neben der reformierten Kirche eine wichtige Stütze der Siedlergesellschaft, später kam die von Oraniern gegründete Unionistische Partei dazu.

Freiheit eines Christenmenschen

«Einfache Leute haben ihn gegründet, und zu diesen Wurzeln kehrt der Oranier-Orden nun zurück», sagt Jones. Im letzten Jahrhundert übernahm der Landadel das Kommando, später waren Fabrikanten und Politiker (alle nordirischen Premierminister gehörten ihm an) tonangebend. Die Logen – ihre Sitzungen beginnen immer mit einem Gebet und einem Bibelspruch – stärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl; da sass der Unternehmer neben dem Arbeiter, der Bürgermeister neben dem Knecht, der Arzt neben dem Handwerker. Und alle waren Brüder, bildeten eine Volksgemeinschaft und halfen einander, auch bei der Jobvermittlung. Mit den Troubles und dem Niedergang der alten Industrie änderte sich dies, heute gehören dem 70 000 Mitglieder starken Orden vor allem Arbeiter an.

Unser Grundprinzip ist die Durchsetzung bürgerlicher und religiöser Freiheit.» Auch die Freiheit der anderen? «Natürlich», sagt David Jones, «wir sind keine antikatholische Organisation. Niemand darf getötet werden, nur weil er Katholik ist.» Aber Kinder aus Mischehen und Männer mit katholischen Frauen werden nicht aufgenommen. Und gegen David Trimble, den künftigen Premierminister, läuft ein Ausschlussverfahren, weil er letzten Juli der katholischen Trauerfeier für die Quinn-Buben beiwohnte. «Alle dürfen nach ihrer Fasson selig werden», sagt Jones. Freiheit müsse sein, aber ebendiese sei bedroht, wenn freie Menschen nicht mehr frei durch die Strassen ziehen dürfen. Schlimmer noch: Durch das Verbot des Umzugs im letzten Jahr habe der Staat die «illegalen Proteste der Katholiken» legalisiert und die legale Parade verboten. Dagegen müsse man als freier Bürger doch rebellieren! Nirgendwo sind Grundrechte verhandelbar, und schon gar nicht in diesem Vorposten der Zivilisation, dem Geburtsort des Oranier-Ordens. Also haben die Oranier bis jetzt jeden Kompromiss abgelehnt.
Etwa achtzig Meter von der Carleton Orange Hall mündet die Thomas Street in die Market Street. Hier, mitten im Stadtzentrum von Portadown, wurde am 27. April 1997 der Katholik Robert Hamill zu Tode getreten. Der 25-jährige Vater zweier Kinder (seine Frau erwartete gerade das dritte) verliess kurz nach Mitternacht mit einem Freund und zwei Kusinen die nahe gelegene Disco; die vier warteten vergeblich auf ein Taxi, sahen dann den Polizeiwagen, der vierzig Meter entfernt parkte, glaubten sich also sicher und beschlossen, die fünfhundert Meter bis hinter die Bahnlinie, wo katholisches Gebiet beginnt, zu Fuss zu gehen. Da jedoch wurden sie von rund zwei Dutzend Loyalisten attackiert. Sie schlugen Hamill und seinen Freund nieder, traten mit Stiefeln auf sie ein und sprangen ihnen auf den Kopf. Erst dann schritten die Polizisten ein. Hamills Freund überlebte schwer verletzt, Robert starb eine Woche später im Koma. Ein paar Tage nach der Beerdigung sah Hamills Familie auf benachbartem, loyalistischem Gebiet eine gespenstische Aufführung. Jugendliche inszenierten auf offener Strasse einen Tanz, bei dem sie die Todestritte imitierten. Die AnwohnerInnen der Strasse standen dabei und klatschten. (Im März 1999 sprach ein Gericht den letzten Verdächtigen in dieser Sache mangels Beweisen frei; die Polizei habe bei ihren Ermittlungen eine «merkwürdige Ineffizienz» an den Tag gelegt, sagt der Richter.)

Immer noch im Krieg

Ein Kilometer südöstlich dieser Tanzbühne liegt Rectory Park, ein in den siebziger Jahren errichtetes Sozialwohnungsquartier. Es ist das wohl schäbigste protestantische Viertel im ansonsten wohlhabenden Portadown. In Rectory Park haben loyalistische Sozialarbeiter in Eigenarbeit eine leere Wohnung zum Gemeindezentrum ausgebaut, und hier treffen sich auch an diesem Abend ein paar jener Bandmitglieder, die derzeit fast pausenlos durch Portadown ziehen und mindestens einmal die Woche vor Drumcree aufspielen. Judith, 14 Jahre, spielt Akkordeon bei «Star of David»; Stewart (16) und Gareth (17) trommeln bei «Portadown True Blues». Das tun sie natürlich nur der Musik wegen, sagen die drei. Würden sie auch bei einer katholischen Band spielen? «Nein, deren Musik gefällt uns nicht.» Warum nicht? «… Die mögen uns nicht, und wir sie auch nicht.» Die Kids – mit Sneakers, Trainers, schlabbrigen Hosen, Baseballmützen – schaffen es auch ganz ausgezeichnet, völlig gelangweilt am Tisch zu sitzen. «Ausserdem können die in Irland noch nicht einmal richtige Strassen bauen, so arm sind die.»
Clifford Forbes, der Vater von Stewart, mischt sich ein. «Wir befinden uns immer noch im Krieg», sagt er. Und die Waffenruhe der IRA? «Wenn die eine Fraktion der IRA mit ihrer Waffenruhe nicht kriegt, was sie will, kriecht eine andere aus dem Unterholz und legt Bomben.» Forbes meidet derzeit die Öffentlichkeit, da er immer noch mit dem loyalistischen Killer und LVF-Gründer Billy Wright in Verbindung gebracht wird, dessen rechte Hand er einmal war (Wright wurde Ende 1997 von Republikanern im Gefängnis erschossen). Er sei ja auch für einen Frieden, sagt er, aber nicht um jeden Preis. Eine raffinierte Strategie sei das: Belfast habe mittlerweile einen katholischen Bürgermeister, an der Queen’s University sei die Nationalhymne bei Promotionsfeiern abgeschafft worden, und nun komme auch noch die IRA an die Regierung. Das alles werde von Politikern gutgeheissen, die man eigentlich gewählt habe, um die Union mit Britannien zu verteidigen.
Die tiefe Verunsicherung ist auch Mark Proctor anzusehen, der gerade zur Tür hereinkommt. «Wir werden beiseite gefegt», sagt Proctor, der als Sozialarbeiter an der loyalistischen Shankill Road in Belfast tätig war, bis protestantische Paramilitärs, die das Friedensabkommen befürworten, den Kritiker des Verhandlungsprozesses von dort vertrieben. Jetzt lebt er im LVF-Land Portadown. «Die Katholiken sind ja so viel cleverer», sagt er, «die wissen, wie man einen Friedensfonds anzapft.» Seit dem Karfreitagsabkommen investieren die Londoner und die Dubliner Regierung, die EU und die USA viel Geld für Gemeinschaftsprojekte. Die Katholiken, erläutert Proctor, würden Millionen abzocken, indem sie zum Beispiel Musikkapellen zu Gemeinschaftsprojekten deklarierten, nur weil ein Protestant mittrommle. «Wenn die den Behörden sagen, dass sie mit Unionisten ein Bier trinken gehen, spendieren die Beamten gleich eine Runde.» Die Protestanten hingegen seien einfach zu ehrlich, möglicherweise naiv, vielleicht sogar etwas einfältig. Hier der vertrottelte, aber ehrenwerte Arbeiter; dort das verschlagene Asozialenpack.

Rosemary, haha
Von Rectory Park zurück über Brownstown und wieder unter der Bahnlinie durch. In den letzten drei Jahren wurden in und um Portadown sieben Menschen getötet. 1996 erschoss die LVF den katholischen Taxifahrer Mike McGoldrick. Im Jahr danach starben Darren Murry und Robert Hamill. 1998 traf es Adrian Lamph und den Polizisten Frankie O’Reilly. 1999 wurden Rosemary Nelson und Elizabeth O’Neill zerfetzt. Elizabeth O’Neill starb, als eine Bombe in ihr Wohnzimmer geworfen wurde; sie war Protestantin, aber mit einem Katholiken verheiratet. In den letzten elf Monaten wurden in Portadown zwei Dutzend Familien aus loyalistischen Vierteln vertrieben. Seit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien nennt man das hier ebenfalls «ethnische Säuberung».



Rosemary Nelsons Tod ging durch die Weltpresse. Die anerkannte Anwältin im benachbarten Lurgan vertrat unter anderem die Belange der Garvaghy-Road-Leute (sie stritt auch für Sean Dunbar, dem 1996 Polizisten einen Arm zertrümmert hatten). Anfang März detonierte unter ihrem Wagen eine Bombe; die Vermutung, dass Polizisten die Finger im Spiel hatten, wollte sogar die RUC-Führung nicht ganz von der Hand weisen. Rosemary Nelson starb nicht sofort, die Bombe hatte ihr die Beine weggerissen, sie verblutete auf dem Weg ins Krankenhaus. An einer Mauer in Portadowns Stadtpark hinter der Bahnlinie ist der Spruch zu lesen: «No legs, Rosemary, haha!» – «Hier gibt es mehr Hass als in der Hölle», sagt eine Passantin.
Am oberen Ende der Obins Street – durch die die Oranier immer ziehen, um danach von Drumcree durch die Garvaghy Road zu marschieren – liegt die Drumcree High School, die katholische Mittelschule von Portadown. Sean O’Neill, der Rektor der Schule, hat kein leichtes Amt. Die Hälfte der 700 SchülerInnen kommt aus ärmlichen Verhältnissen (Massstab dafür ist das Gratis-Mittagessen, das nur Kinder erhalten, deren beide Elternteile arbeitslos sind). Und die meisten armen Kinder kommen aus der Garvaghy Road. «Sie fühlen sich als Menschen zweiter Klasse», sagt O’Neill, «und ich kann dem kaum widersprechen. Nimm den Hamill-Fall – wäre die Sache andersherum gewesen, hätte man alle Verdächtigen längst verurteilt.
Mangelndes Selbstwertgefühl sei das Hauptproblem seiner SchülerInnen, sagt O’Neill; dem käme die Schule dank zahlreicher Initiativen allmählich bei. Die «Glaswände» aber blieben: «Überall in Portadown stehen sie herum.» Hier oben im nationalistischen Quartier könnten die Jugendlichen einigermassen sicher leben, «aber es gibt eine Grenze». O’Neill zieht auf einem Blatt Papier eine Linie, die Portadown nördlich der Bahnlinie durchschneidet. Südlich dieser Linie «sind das Schwimmbad, die städtische Bibliothek, das Arbeitsamt, das Freizeitzentrum, das Technische College. Dieses College hat bisher kein einziger unserer Schüler besucht.» Die unsichtbaren Mauern beherrschen das Leben in Portadown. «Unsere Jugendlichen meiden eine Grenzüberschreitung, denn auf der anderen Seite könnten sie attackiert, belästigt, beleidigt oder bespuckt werden. Dort fühlen sie sich nicht wohl.» Ähnlich hat sich auch Sean Dunbar von der Garvaghy Road ausgedrückt, als er sagte, ausserhalb seines Quartiers käme er sich wie ein Leuchtturm vor: Immer sei der Kopf in Bewegung, nach links schauen, nach rechts schauen, nach hinten. Sean O’Neill hat jetzt mit den Rektoren protestantischer Mittelschulen ein neues Projekt initiiert: Video-Konferenzen. Da können sich die Kids sehen und miteinander reden, ohne einander nahe zu treten.
Von der Mittelschule hat man einen schönen Blick über Felder und Wiesen. Richtung Nordwest steht die Kirche von Drumcree. Dort kam es am vorletzten Wochenende wieder zu einer grösseren Auseinandersetzung: 8000 ProtestantInnen marschierten zur Garvaghy Road, dann flogen Brandflaschen, Feuerwerkskörper und Steine; elf Polizisten wurden verletzt. Zu ähnlichen Gefechten dürfte es beim «Langen Marsch» kommen, der am Donnerstag dieser Woche in Derry begann und in Drumcree enden soll. Die Route wurde mit Bedacht gewählt – so kommen die DemonstrantInnen auch durch Greysteel (wo 1993 Loyalisten beim Überfall auf ein Pub sieben Katholiken erschossen), durch Ballymoney (wo die drei Quinn-Buben verbrannten) und durch Lurgan (wo Rosemary Nelson verblutete). Sie wollen, gestärkt durch zahlreiche örtliche Demonstrationen, am kommenden Sonntag in Portadown sein. Dann nämlich soll die Parade des Jahres 1999 stattfinden. Manche Oranier hoffen, dass sich hunderttausend Glaubensbrüder an der Polizeisperre unterhalb der Himmelfahrtskirche einfinden werden. Dann könnten sie es schaffen.
Aber ein Mal marschieren reicht ihnen nicht. «In ’99 we do it twice», steht an der Kirche von Drumcree – 1999 ziehen sie zweimal durch die Garvaghy Road. Die Parade von 1998 müssen sie schliesslich auch noch zu Ende führen.

Fortsetzung folgt:
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karl
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